In der Nacht offenbart sich mir die Natur auf direktere Art und Weise. Da ich durch die Dunkelheit weniger Details und Kontraste sehen kann, hinterlässt das Gesehene einen stärkeren Eindruck. Vielleicht weil ich mir bewusst bin, dass sich vieles meinen Augen entzieht. Ich stelle Vermutungen an und gleiche das spärlich Gesehene mit dem Gehörten ab. Ergeben die Sinneseindrücke zusammen Sinn? Es ist so als wären um mich herum viele Ohren und Augen. Überall ist Leben das ich spüren, aber nicht greifen kann. Diese Geheimnissen ziehen mich an. Ich will mehr wissen und doch macht es mir Angst. Vielleicht ist die Vorstellung was in der Dunkelheit sein könnte ausreichend und ich will gar nicht nachsehen?
In Tanoeiro, einem kleinen Dorf in der Algarve ist unser Leben sehr naturnah. Wir halten uns sowohl tagsüber als auch nachts so gut wie nur draußen auf. Das ist sehr idyllisch oder auch herausfordernd denn wir sind der rauen Natur mit allen Konsequenzen ausgeliefert. Autos hören wir so gut wie nie. Die Grillen sind so laut, dass es mir erst auffällt wenn sie ihr Zirpen unterbrechen. Alle Insekten sind dort lauter. Auch weil es viel mehr davon gibt. Die Hunde der Nachbarn jaulen wie Wölfe, jeden Abend zur gleichen Zeit. Welche Tiere sind sonst noch nach Sonnenuntergang wach? Wenn ich zur Komposttoilette im Bambushain gehe, fliegen mit lautem Flügelschlagen große Vögel los und ihre Geräusche in den Blättern lassen kurz alles – und vor allem mich erzittern. Ich überlege wieder umzudrehen. Was, wenn hier wie im Wald wie bei den Twin Peaks jemand aus der Dunkelheit auftaucht? Ich würde es relativ spät merken denn meine Sinne sind nicht so geschärft wie die der Tiere um mich. Das macht die Vorstellung nicht besser.
Die Grillen durchbrechen meine Gedanken und holen mich zurück. Sie zirpen leicht versetzt und es erinnert mich an minimalistische Musik. Die Schwebungen kratzen in meinem Ohr. Können sie denn nicht im gleichen Tempo singen? Gerade freue ich mich, dass sie da sind. Es ist eine verlässliche Konstante der Nächte in Portugal. Auch wenn ich sie noch nie gesehen habe. Solange sie singen, weiß ich, dass Sommer ist. Wenn es kühler wird singen sie nicht mehr so oft. Man könnte sie fast als Thermometer nutzen – für die Nächte in denen es nicht kühl werden will.